Die Weltwende vor 100 Jahren: 1814
Zur Navigation springen
Zur Suche springen
" Die Weltwende vor 100 Jahren: 1814 ! " - " Nach Feierabend 1914 "
Thomas Keilhack
" Keine Ausgabe ohne Deckung, kein Aufwand ohne Ertrag. Diese Formel gilt für jede gesunde Geldgebarung. Aber auch sonst im Leben stimmt sie. Wenn Napoleon am Ende des Jahres 1813 berechnet hätte, wie es um sein militärisches, politisches und kulturelle Vermögen stünde, dann hätte er eingesehen müssen, daß er tief in Schulden geraten war. So tief, daß er davor erschrecken mußte. Man rechne nur selbst nach: in Zeit von einem Jahre verlor der Kaiser zwei Heere von je 500000 Mann, rund gerechnet; das eine 1812 in Rußland, das andere 1813 in Deutschland. In einem Jahre also schwächte er seine Staaten um eine Million Menschen ! Und was brachte ihm diese unerhörte Ausgabe ein? Militärisch Niederlagen: das Schlachtfeld lag 1812 noch vor Moskau, 1813 schon bei Leipzig; 1814 sollte es bei Paris vor der eigenen Türe sein. Politisch Verluste an Land: Deutschland machte sich frei, Italien fiel ab, kulturell nur Tiefstand: Verarmung seiner Völker durch Steuern und Truppenaushebungen, Verwüstung des bebauten Bodens, Verwilderung der Sitten. Kaum daß er sich selbst aus dem Leipziger Zusammenbruche nach dem Rhein gerettet hatte. Wohl hielten noch 60000 Mann zu ihm, die für ihren Kaiser zu sterben bereit waren, weil sie nur für ihn lebten. Aber was wollte das gegen die 200000 verbündeten Truppen heißen! So stand die Rechnung für Napoleon, wenn er sie nüchtern, ohne Verblendung aufgemacht hätte. Aber dieser seltene Mensch begriff seinen rasenden Zusammenbruch einfach nicht. Er konnte sich nicht denken, daß es so rasch mit ihm aus sein sollte, wo er noch kurz zuvor in Europa alles war. Das meinte er, wenn er hinter Leipzig sagte: ' Das Stück ist noch nicht zu Ende ! Wir werden wiederkommen. ' Darum wies er auch jeden Frieden ab, der ihm nur Frankreich ließ. Ein König von Frankreich wollte er nicht sein. Er konnte sich nur als Kaiser EUROPAS denken. Der Vaterlandslose wollte INTERNATIONAL sein. Er verschmähte den behaglichen Frieden, denn er war Soldat und hatte nur von der Waffe die höchste Meinung. Dazu brannte er auf RACHE (siehe an: Hitler / Antichrist), weil er unterlegen war. RACHE verlangte sein korsisches Blut. Bei den Verbündeten lag die Sache ganz anders. Mehr hatte man ja gar nicht gewollt, als den schrecklichen Mann über den Rhein zurückzujagen und auf sein Frankreich zu beschränken. Wenn er dort bliebe, sollte ihm alles vergeben und vergessen werden. Man hatte auch den ewigen Krieg satt. Auf die ungeheure Anstrengung war tiefe Abspannung gefolgt. Die großen Siegesfeste schienen zugleich Friedensfeiern zu sein. Indessen entfaltete Napoleon seine fabelhafte Arbeitskraft, um sich mit Geld und Truppen zu rüsten. Aber Geld ging nur durch die härtesten Steuern ein, und bei der Aufhebung der Soldaten kamen schon Achtzehn - und Neunzehnjährige dran. Darüber machte man dem Kaiser heftige Vorwürfe: ' Dieser Krieg verschlingt periodenweise die Jugend, die wir für Ackerbau und Handel brauchen. Seit zwei Jahren mäht man dreimal ! ' Der Kaiser hatte sich denn auch gründlich verrechnet. Für den offenen Feldzug brachte er kaum 70000 Mann zusammen. Aber er brachte seine Person dazu, und die mochte er selbstbewußt auf 100000 berechnen. Er schlug also den Frieden aus und wagte den Kampf gegen eine dreifache Uebermacht. Der neue Feldzug begann am 1. Januar 1814. Er ward auf französischem Boden ausgetragen. Die verbündeten Heere standen unter Blücher und Schwarzenberg. In der Neujahrsnacht von 1813 zu 1814, nahm Blücher den Rheinübergang bei Caub. Die Hauptmacht (Schwarzenberg) setzte bei Basel über. Die Schlachten folgten nun Schlag auf Schlag. Meist waren es Siege für Napoleon. Aber es kamen auch schwere Fehlschläge vor, und das eine war nicht viel besser wie das andere: alles schwächte nur sein kleines Heer. Napoleon hatte sich wieder auf seine guten Tage besonnen. Gleich zu Anfang drängte er Blücher zurück und schlief abends sogar in dessen Bett. Dafür brachte ihm freilich Blücher drei Tage darauf bei La Rothière eine böse Schlappe bei. Aber Napoleon kam schnell wieder zu sich, und nun glänzte er noch einmal in allen Künsten der Kriegführung. Er kämpfte nicht mehr wie in seiner mächtigsten Zeit mit der brutalen Masse, mit dem gefürchteten Stoß ins Zentrum. Jetzt entwickelte er wieder die wunderbare Beweglichkeit, die ihn als jungen General in Italien ausgezeichnet hatte. Er warf sich zwischen Blücher und Schwarzenberg in Eilmärschen hin und her und teilte die letzten Schläge aus, die ihm noch möglich waren. Vom 10. bis zum 14. Februar fiel er nacheinander so schrecklich über Blüchers einzelne Korps her, daß der alte Marschall alles verloren gab und den Soldatentod suchte, zum Glück vergebens. Vier Tage darauf lag Napoleon schon wieder mit Schwarzenberg im Kampfe und schlug ihn bei Montereau so vor die Stirn, daß der verbündete Obergeneral tief erschrocken zurückfuhr. Er trat den Rückzug an, und die Verbündeten munkelten sogar von einem Waffenstillstand. Aber das war auch Napoleons letzter großer Erfolg. Er hatte sich ausgegeben. An seiner Schwäche ging er nun zugrunde. Bei Bar an der Aube unterlag er gegen Schwarzenberg, so daß die Verbündeten Hoffnung sahen. Sie rückten wieder vor. Napoleon versuchte dafür bei Blücher etwas Entscheidendes zu erreichen. Aber der hatte sich durch zwei neue Korps auf 100000 Mann verstärkt und schickte Napoleon bei Laon gehörig heim. Noch einmal stieß Napoleon auf Schwarzenberg, prallte aber an der Uebermacht ab. Hier war es, wo der Kaiser sein Pferd zwang, über eine Granate zu setzen, die eben niedergefallen war. Ein General seines Gefolges wollte ihm zurufen, woran ihn ein anderer hinderte: ' Sehen Sie nicht, daß er es mit Absicht tut ? Er will ein Ende machen. ' Das springende Geschoß warf Erd - und Steinmassen empor. Doch der Kaiser saß unversehrt zu Pferde. Er sah jetzt ein, daß er die feindliche Uebermacht mit seinen Heertrümmern nicht aufhalten konnte. Das Gefühl der nahenden Katastrophe lastete über dem zurückmarschierenden Heere. Zu seinem Unglück verfiel da Napoleon auf ein Manöver, das ihm glänzend und ausreichend erschien. Statt sich nach Paris zu werfen, marschierte er in den Rücken der Verbündeten, dem Rheine zu, als wollte er Deutschland bedrohen. Er rechnete darauf, daß der Gegner ihm nachziehen werde. Aber er hatte sich wieder verrechnet. Endlich einmal hatten die Verbündeten Wagemut. Sie schickten Napoleon nur 10000 Mann nach, um ihn zu täuschen. Mit allen übrigen Kräften strebten sie nach Paris. Denn Paris ist Frankreich: wer Paris hat, hat Frankreich. Nach einer letzten Schlacht dicht vor Paris ergab sich die Stadt. Am 31. März 1814 zogen die Verbündeten mit ihren Garden ein. Napoleon hatte indessen den Marsch der Verbündeten auf Paris erfahren. Er raste sofort hinterdrein. Zuletzt waren nur noch zwei Generale bei ihm. Noch hatte er den Glauben, er würde Paris verteidigen können, jedenfalls dachte er keinen Augenblick daran, sich zu ergeben. Aber unterwegs traf er schon auf die französischen Kolonnen, die kapituliert hatten. ' Sechs Stunden zu spät und alles verloren ! ', sagte der Kaiser. Dann ließ er sich nach Schloß Fontainebleau fahren. Dort erlitt er noch den Schlag, daß seine Marschälle sich von ihm lossagten. Nun stand er allein. Am 11. April entsagte er daher unbedingt dem Throne Frankreichs, da die verbündeten Mächte verkündet hätten, der Kaiser Napoleon sei das einzige Hindernis für einen europäischen Frieden. Die Verbündeten ließen ihm den Kaisertitel, und die kleine Insel Elba wurde ihm als Aufenthalt angewiesen. Am 20. April nahm der Kaiser Abschied von seiner Garde. Mit Mühe hielt er eine kleine hübsche Abschiedsrede, küßte den Adler und weinte. Auf der Fahrt durch Südfrankreich belästigte ihn das Volk auf gemeine Art. Sein Leben selbst kam in Gefahr. Er war völlig zusammengebrochen. Aber im Grunde seiner Herzens mochte sich doch der Gedanke regen: Das Stück ist noch nicht zu Ende; wir werden wiederkommen. Es ist schwer zu verstehen, wie man einen Mann, den man eben erst mit so ungeheuerer Mühe aus seiner europäischen Machtstellung gedrängt hatte, nach Elba zu verbannen wagte. Die kleine Insel bei Corsika liegt verlockend vor den Toren Südfrankreichs: Marseille und Toulon. Nichts leichter für Napoleon, als von Elba aus neue Beziehungen zu seinen zahlreichen Freunden auf dem Festlande zu knüpfen. In Italien lebte seine unermüdliche Mutter, die mit ihren Reichtümern Anhänger für ihren gestürzten Sohn warb, und Murat, der König von Neapel, der sein Königtum von Napoleon hatte und es nur durch ihn behalten konnte. Frankreich hing immer noch mit tausend Fasern an ihm. Die zehnjährige Glanzherrschaft konnte es nicht so bald vergessen. Endlich fand Napoleon auf Elba die Erholung, die er sich nie gönnen wollte. Elba ist eine gesunde, schöne Badeinsel. Napoleon genoß hier einen Zwangsurlaub. Aber im geheimen spielten die Fäden der Verschwörung nach allen Seiten. In ihrem Netze saß er wachsam wie eine Spinne. Wer noch so viele Freunde hat, darf getrost die Würfel werfen und an der Spitze der Anhänger noch einmal sein Jahrhundert in die Schranken fordern. Ja, das Stück ist noch nicht zu Ende; wir werden wiederkommen. "
E. Heditzsch